WARUM
Du schwebst gleichmäßig im Nichts, spürst die Sicherheit alles Bekannten und hoffst auf die Treue des Alltags. Sie kann dich nicht belügen. Das Grau des Lebens lügt niemals. Es passiert nichts. Nichts, dass deine Sinne erweckt. Dich lachen oder weinen lässt, dich in Verwirrung geraten lässt oder dich dazu bringt, jemandem nötig zu sein. Du bist niemandem nötig. Wie auch dir die anderen nicht nötig sind, weil das Grau gleich Grau jeden Tag für alle um dich herum ist.
Manchmal spürst du Zögern. Du fragst dich: Ist das das Traumleben von der Kindheit? Sollte deine Zukunft so aussehen? Waren die Emotionen in deinen Kinderprojekten nicht viel mehr? Solltest du nicht Liebe jeden Tag spüren? Du plantest doch die Fehler der Erwachsenen in deiner Umgebung nicht zu wiederholen! Du plantest dein Leben mit Liebe, mit Freunden, beim Erfinden des Unbekannten zu leben und eine Spur hinter dich zu hinterlassen. Eine Spur, die ein Teil vom gemeinsamen Schaffen von Leuten, wie du sein soll.
Es ist misslungen. Das Gleiche machte dich gleich. Du fühlst nicht, veränderst nicht, schaffst kein Glück. Du freust dich über dem Stereotyp. Du feierst nach den Regeln der Gegenwart. Du gönnst dich nicht unterschiedlich zu sein, um nicht allein zu bleiben. Immer, wenn du möchtest, dass es unterschiedlich , anders, von dir geschaffen sein soll, spürst du jemands Vorwurf. Du bist hartnäckig! Du versuchst zu zeigen, dass es unterschiedlich vom Grau sein kann und bleibst allein. Trotzdem glaubst du in deiner Berechtigung. Du beharrst, erwartest Verständnis und Unterstützung, erklärst, suchst Beistand. Beistand ist dir nötig. Ohne Beistand verlierst du deinen Überblick. Du verlierst dich in deinen Gedanken und verirrst dich zwischen der Überzeugung und dem Zweifel. Allmählich spürst du, wie der Zweifel dich beherrscht. Wahrscheinlich hast du etwas falsch gemacht. Wahrscheinlich waren deine Kinderträume falsch. Wahrscheinlich hast du etwas, dort fern in der Vergangenheit zu spüren verpasst. Du bist kein braves Kind gewesen, du bist nicht aufmerksam in der Schule gewesen, du hast einen wichtigen Lebensunterricht verpasst…. Schon hast du dich verloren.
Du freust dich, aber spürst die Freude nicht. Du schaffst, aber du spürst es nicht als deine Tat, sondern als einen Teil von erwartetem Ergebnis. Du feierst, weil die anderen von dir zu feiern erwarten, spürst aber eine Leere. Du liebst, weil das physische Bedürfnis dich mit jemandem zusammenbringt, aber es fehlt die Emotion. Du hast lieb…..Nein, du hast aufgehört lieb zu haben. Du verstehst, dass du dieses Gefühl vergessen hast. Du nimmst die Tatsache an, demütig stimmst du dem Grau des Alltags zu und suchst vorläufige Stützen. Du hast schon Angst zu verändern. Du hast Angst…….dein Leben nicht mehr zum Scheitern zu bringen. Du besinnst dich nicht, dass es schon endgültig gescheitert ist.
In der Realität willst du, dass das ein Traum ist. Nein, es ist kein Traum.
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Seit zwei Tagen gingen sie aneinander vorüber. Mal eilte sie irgendwie ein bisschen voraus, mal geschah es so, dass er eine Rast verpasste und überholte sie. Das Wetter war sonnig. Die getauschten Lächeln waren wie die Träume von der Kindheit. Es war unmöglich. Er zwang sich jenes vesgessene Gefühl zu unterdrücken. Es kann nicht wahr sein. Immerhin ist sie nur ein Mensch von all denen, die den Weg vom Heiligen Jakob gehen. Hier sind die Achtung und die Grüße ein Alltag. Er beschloss, dass es gut ist, sich vom in der Vergangenheit gebliebenen Gefühl der Anziehung nicht beherrschen zu lassen. Er war mit sich selbst im Klaren. Dreißig Jahre waren genug, um die Liebe als Gefühl zu verlieren. Dreißig Jahre lang hatte er die herzliche Unterstützung einer Frau zu sich nicht gehabt. Selbstverständlich lebte er nicht allein. Immer hat er eine Frau zu sich gehabt, aber das, was im Augenblick geschah war unterschiedlich. Nein, es war keine physische Vorliebe.
Sie wich dem Blick und den Grüßen des Mannes mit dem großen Rücksack und dem witzigen kleinen Hut nicht aus. Sie war ungefähr fünfzig oder vielleicht mehr. Wahrscheinlich grüßte er sie aus Höflichkeit. Nicht etwa denkt er, dass sie ihm mehr Aufmerksamkeit schenken soll. Es ist komisch.
Hunderte, und wahrscheinlich auch Tausende von Leuten gehen den Weg nach Santjago de Kompostella jedes Jahr. Wahrscheinlich sind genauso viel auch die Ursachen, die sie es zu tun antreiben. Jeder entscheidet selbst woher er losgeht, wiviel er geht und wie er seine Zeit organisiert. Manche Leute hatten es eilig. Das graue Leben hatte ihnen sehr wenig Zeit gelassen und jetzt sollten sie schnell ihren Weg des Selbstfindens gehen. Andere verfügten über die ganze Zeit der Erde. Es gab Leute, für die jede Bewegung Mühe war, aber sie gingen wie die anderen hartnäckig den Weg. Manchmal überholten dich lustige Gruppen junger Leute. Sie lachten. Du spürst, wie sich die Energien von jedem von ihnen in einem Gedanken oder in einem gemeinsamen Drang nach etwas Schönes vereinigen. Dir wird es angenehm und möchtest etwas von der positiven Stimmung abreißen. Es gelingt dir. Dich erfüllt ein angenehmes Gefühl und die Zufriedenheit, dass du ein Teil von gemeinsamer Tat bist. Es steckt dich an und du möchtest auch jemandem eine positive Emotion geben. Du möchtest nützlich sein und wenn es nötig ist, zu helfen. Du begreifst , dass du nicht allein bist. Hier sind alle positiv. Man sammelt so viel positive Energie. Wahrscheinlich, wenn man wüsste wie, würde man sie dazu benutzen, um die Negativität des Grau auf der ganzen Welt zu neutralisieren. Selbstverständlich ist das unmöglich, aber die Vergnügung davon, dass du in einer anderen paralellen Welt ohne Negativität bist, macht dich glücklich.
Das Zurücklegen von dreißig oder sogar vierzig Kilometern pro Tag kann ein angenehmes Erlebnis sein. Du erkennst deine Möglichkeiten. Du staunst, dass du es kannst. Man kann immer.Das Wichtige ist es stark zu wollen.
Du wählst, dich auf die Ruhe der Natur zu verlassen. Der Weg bietet dir alles Nötige um dich ruhig zu fühlen. Du beeilst dich nicht und suchst eine Weise, wenigere Strecken zurückzulegen mit dem einzigen Gedanken, dass dieser Weg mehr und mehr dauert. Damt du das Treffen mit deiner anderen Welt verschiebst.
Hunderte von menschlichen Schicksalen haben sich zum Finden ihres Wesens begeben. Schicksale, jedes von denen viele Augenblicke von erlebten Schmerzen, Freuden, Hoffnungen, Enttäuschungen, Lächeln, Vorwürfen, Zuversicht, Schwäche, nicht realisierten Träumen oder gescheiterten Freundschaften und Versprechen für Treue, glücklichen Erlebnissen und langjährigen Beziehungen in sich bewahrt. Es gibt allerlei Schicksale. Jeder ist bereit mitzuteilen. Jeder findet Anlass und Weise von sich mitzuteilen. Das Mitteilen lehrt dich. Das Mitteilen ändert dich. Du teilst mit und hörst das Erzählte von den anderen zu. Tag für Tag etwas ändert sich in dich. Du findest dich selbst. Du findest dein Leben. Jenes, dafür du in deiner Kindheit geträumt hast, und das Grau des Alltags es von dir versteckt hat.
Er kam ziemlich spät ins Alberge. Zum Glück gab es genug freie Plätze. Es waren Vierbettzimmer. In diesem Zimmer war er allein. Die Erleichterung von der zurückgelegten Strecke und die Möglichkeit sich zu erholen erfüllen die Gedanken. Die Vergnügung ist herrlich. Du spürst wie jede Muskel ein Signal zum Gehirn schickt. Signal der Dankbarkeit, dass du ihr erlaubt hast sich zu erholen.
Da kam sie herein. Groß, blond und mit einem angenehmen Lächeln. Ihr Gesicht strahlte Ruhe und Schönheit aus. Die Schönheit des Glücks. Sie grüßte und legte ihren Körper sofort auf das Bett daneben. Sie lagen und schwiegen. Sie sahen sich nicht, spürten sich aber. Er spürte ihr dasein, spürte das Rhythmus ihres Herzen und fühlte sich glücklich. Ja, sie kannten sich nicht. Sie hatten nicht geredet. Es war auch nicht nötig. Er dachte über das Schicksal nach. Bei allen zufälligen Vorbeigehen bis jetzt wagte er es kaum zu denken, sie anzusprechen. Wahrscheinlich irgendwelche entstellte Höflichkeit oder Schüchternheit störte ihm es zu tun. Das Schicksal tat es. Es brachte sie zusammen.
Im Zimmer wurden noch zwei Menschen unterbracht. Ein Junge, der ständig Musik hörte oder schrieb und ein Mann ungefähr fünfundfünfzig aus Kanada. Dann folgte ein Spaziergang, Einkäufe. Sie haben sich getroffen. Sie hat ihn angesprochen. Sie besichtigt gern Kirchen. Diese in der Stadt ist dort. Gut. Sie werden sich beim Abendessen wiedersehen. Sie setzten sich nebeneinander. Ihr ruhiges Gesicht strahlte Zuversicht aus.
Du gehst den Weg Kamino, erwartest, dass irgendetwas passiert. Und es passiert. Tag für Tag, Schritt für Schritt, der Weg verändert dich. Du leidest die Zeit, in der das Bewusstsein dich durch Reihen von nicht erfüllten Träumen, schleche Errinerung in der Vergangenheit, versäumten Augenblick der Freude, den Überdruß vom Grau um dich herum führt und……du änderst dich. Camino ändert. Er ändert die Leben Hunderter von Leuten. Leute, die hier Willen finden Träume zu erfüllen , zu lieben, ihre schwersten Lebensprojekte zu realisieren und beginnen es stark zu wollen.
Du gehst zum Camino allein. Du möchteset allein sein. Die Anwesenheit der Leute um dich herum ist unmerklich. Jeder ist beret deinen Wunsch zu berücksichtigen.Jeder versteht dich und bleibt unmerklich für dich, weil er dich unbewusst spürt. Du spürst auch. Das ist kein Widerstand, sondern das Erringen der so lange erwünschten Vereinsamung. Es hilft dir deine Gedanken zu ordnen, deine Fehler zu entdecken, das Bedrückte in dich selbst zu befreien. Du bewertest das Gute und das Böse. Die Vereinsamung gibt dir die Lösungen von Fragen, die das Bewusstsein in der Zeit davor bedrückt hat. Du entdeckst die fehlende Balance in deinem Leben.
Auf dem Weg siehst du die Mehrheit von Leiden, Ängsten, Qualen und negativen Errinerungen , die die anderen wie du losgeworden sind. Jedes Steinchen über oder um die wegweisenden Steine mit dem Zeichen Camino gelassen, ist ein beendeter Alptraum oder Angst. Du unterbrichst die Beziehung mit der Angst oder Zweifel und übernimmst das Leben mit deinen Händen. Du bestimmst selbst dein Schicksal..
Das Schicksal brachte sie wieder zusammen. Am nächsten Abend waren sie wieder in einem und demselben Alberge. Es war kein Zufall. Es war das Schicksal. Müdigkeit, Erholung, Abendessen irgendwo draußen. Sie begegneten sich für eine Weile in der Stadt. Sie war bezaubernd. Ihr Lächeln.
Drei Tage Liebe. Kein Sex, sondern Liebe. Wieviel Energie ist das. O, Gott, das macht dich stark und sicher. Drei Tage, wann du die andere Welt vergisst. Jenes dein parallelen Leben, in dem die Liebe fehlt. Drei Tage, in denen dich Regen überströmt, aber du bist glücklich. Drei Tage, in denen du mehr Kilometer zurücklegst, aber die Ermüdung spürst du nicht. Drei Tage, in denen du lachst, scherzt, fragst und erzählst. Man kann das nicht erzählen. Man muss es erleben.
Sie lernte ihn kennen. Er versuchte mehr über sie zu erfahren, hielt sich aber zurück, Fragen zu stellen. Er war zärtlich, trotz seiner Unsicherheit. Er liebte! Er hatte seit diesem Tag vor neunundzwanzig Jahren nicht geliebt, wann ein Mädchen im fernen Staat ihm einfach sagte: „ Das ist das Ende. Ich werde nicht mit dir leben.” Neunundzwanzig Jahre, in denen er sich verboten hatte die Liebe zu sich zuzulassen. Er hat es sich verboten, weil er Angst hatte. Angst, nicht wieder gedemütigt und fortgeworfen zu sein. Selbstverständlich, wohnte er nicht allein, aber seine Gefühle waren tief in seiner Seele verschlossen und niemand wurde dazu zugelassen. Er selbst schloss niemals, sogar für sich selbst das Plätzchen auf, wo er sie für immer versteckt hat.
Auf dem Weg nach Santjago de Kompostella hast du viel Zeit. Du gehst, gehst und hopp, entdeckst du etwas Neues für dich.
Er hat sich scheußlich benommen. Am vierten Tag war er unerträglich. Er unterdrückte wieder alle Gefühle in sich. Er hat sich isoliert. Er verschloss sich für alles um sich. Er hatte keinen Grund dafür. Was geschah? Die Liebe war da, aber er wagte sie nicht mitzuteilen. Er machte sich Vorwürfe, konnte aber nicht die Kälte, die er ausstrahlte beseitigen. Er wusste, dass das falsch und gefährlich ist. Er konnte sie für immer verlieren. Er konnte nichts ändern. Er war schwach.
Schädigen wir uns selbst in unserem Leben? Werden wir beschädigt geboren? Ändert uns das Leben und macht uns in sich verschlossen? Vielleicht ist das eine mangelnde Lehre von der Kindheit. Es fehlt das Gefühl. Du wirst verschlossen und benötigst viel Unterstützung. Unterstützung von einem nahestehenden Menschen.
Es ist ihm gelungen. Es ist ihm gelungen seine Gefühle zu entdecken und aufzuschließen. Es war schwierig. Verdammt schwierig. Das geschah auf dem Weg. Er hat jenes Angstgefühl mitzuteilen überwindet. Es ist ihm gelungen und das Schicksal belohnte ihn sofort.
Am nächsten Tag haben sie sich getroffen. Sie brauchten nicht viel Worte. Die Lächeln auf ihren Gesichtern waren ehrlich. Sie haben gelacht, Tapas gegessen, sind spazierengegangen. An diesem Abend sollten sie sich trennen. Sie sollte abfahren. Sie wird wieder auf den Weg zurückkommen nach einigen Monaten, um ihn bis zum Ende zu gehen.
Eine Umarmung gab ihm Energie seine Gefühle niemals mehr zu schließen.
Der Weg Camino ist zauberhaft. Es reicht, dass du es stark wünschst. Wenn du dich Umsiehst wirst du wahrscheinlich verstehen, dass nicht nur der graue Alltag da ist. Es gibt Leute, die dich verstehen können. Sehe dich um!
“Buen Camino! Ich glaube, dass ich dir wieder begegnen werde. Ich liebe echt wieder! Dich! Ich möchte das für immer.”
Villadangos del Paramo, 21.9.2015